Vieira da Silva in der Guggenheim Collection in Venedig: Labyrinth der Erinnerung

Vom 12. April bis 15. September 2025 zeigt die Peggy Guggenheim Collection in Venedig die große Retrospektive „Maria Helena Vieira da Silva: Anatomy of Space“. Diese vielschichtige Ausstellung widmet sich dem visionären Werk der portugiesisch-französischen Künstlerin, deren Malerei Raum, Erinnerung und Bewegung zu einem poetischen Ganzen verwebt.

Die Anatomie des Raums – Malerin der Figuration und Abstraktion

Maria Helena Vieira da Silva (1908–1992) gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten der europäischen Nachkriegsmoderne. Die von Flavia Frigeri, Kunsthistorikerin und Kuratorin an der National Portrait Gallery in London, kuratierte Ausstellung zeichnet die außergewöhnliche Karriere der portugiesischen Künstlerin anhand von siebzig Werken nach und untersucht seine eigentümliche Herangehensweise an die Darstellung von Raum. Die rund 70 Werke stammen aus weltweit renommierten Institutionen – darunter das Museum of Modern Art in New York, das Centre Pompidou in Paris und die Sammlung der Solomon R. Guggenheim Foundation.

Im Zentrum der Schau steht Vieira da Silvas einzigartiger Umgang mit Raum: Raster, Linien, Perspektivverschiebungen und fragmentierte Architekturen prägen ihr Werk. Ihre Malerei oszilliert zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Realität und Imagination.

Ich glaube, ich habe mein ganzes Leben in Labyrinthen gelebt„, erklärte Vieira da Silva, und es ist genau diese Vision, die in ihren Gemälden auftaucht.

Kuratorin Flavia Frigeri fasst ihren künstlerischen Ansatz so zusammen:

„Vieira da Silva war eine Künstlerin der Zwischenräume – zwischen Ländern, zwischen Stilen, zwischen Realem und Imaginärem. Ihre Bildsprache lädt uns ein, Raum neu zu denken – als etwas, das sich zwischen Erinnerung, Bewegung und Wahrnehmung entfaltet.“

Liebe, Kunst und Exil: Vieira da Silva und Árpád Szenes

Ein zentrales Kapitel in Vieira da Silvas Leben ist die Beziehung zu ihrem Ehemann, dem ungarisch-jüdischen Maler Árpád Szenes. Die beiden lernten sich 1928 an der Académie de la Grande Chaumière in Paris kennen. Aus einer tiefen künstlerischen wie persönlichen Verbindung entstand eine lebenslange Partnerschaft, die nicht nur in ihrem gemeinsamen Alltag, sondern auch im gegenseitigen künstlerischen Einfluss Ausdruck fand.

Szenes porträtierte seine Frau vielfach bei der Arbeit, während Vieira da Silva ihn als „den einzigen Menschen, der mich innen und außen kennt“ beschrieb. Ihre Liebe war geprägt von gegenseitigem Respekt und künstlerischem Austausch. Während ihrer Exiljahre in Rio de Janeiro (1940–1947) – einer Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung – entstanden einige ihrer ausdrucksstärksten Werke, voller emotionaler Tiefe und Spannung. Sie kämpften mit Isolation, Existenzsorgen und Heimweh, fanden aber in der Kunst einen Anker.

Nach dem Krieg kehrte das Paar nach Paris zurück. Dort führten sie ein geordnetes, fast monastisches Künstlerleben: „Wir arbeiten zur gleichen Zeit, aber jeder in seinem eigenen Atelier. Wir führen das Leben von Bankangestellten – zumindest was die Arbeitszeiten betrifft“, erzählte Szenes einmal. Paris wurde zum Nährboden für Vieira da Silvas zunehmende Hinwendung zur Abstraktion. Ihre Werke aus dieser Zeit sind geprägt von urbanen Rhythmen, labyrinthischen Strukturen und der Suche nach innerer Ordnung in einer Welt nach dem Chaos.

Das Atelier als Denkraum – Struktur, Linie und Licht

Ein zentrales Thema der Ausstellung ist das Atelier als Raum der Reflexion. Die Künstlerin beschrieb es nicht nur als Ort der Produktion, sondern als eine Erweiterung ihres Denkens. „Ich glaube, ich habe mein ganzes Leben in Labyrinthen gelebt“, sagte sie einmal – ein Satz, der sowohl auf ihr Werk als auch auf ihre Lebensgeschichte verweist.

In Werken wie „The Gothic Chapel“ (1951) oder „Construction Site“ (1950) verdichtet sich ihre Formensprache zu dichten Netzen aus Linien, Farbflächen und Perspektivverschiebungen. Vieira da Silva formt eine neue Architektur der Wahrnehmung, in der Zeit, Erinnerung und Raum ineinander übergehen.

Weiß als Klang der Stille – das Spätwerk

In der letzten Phase ihres Schaffens wendet sich Vieira da Silva zunehmend der Farbe Weiß zu – als Ausdruck von Leere, Licht, Konzentration. Diese Werke, so zart wie entschlossen, bilden ein meditatives Vermächtnis und wirken wie eine visuelle Essenz ihres Lebenswerks.

Direktorin Karole P. B. Vail betont die Relevanz dieser Werke für die heutige Zeit:

„Vieira da Silvas Arbeiten fordern uns heraus, genauer hinzusehen. Ihre weißen Kompositionen am Ende ihrer Karriere sind von einer Ruhe und Tiefe, die kaum eine andere Sprache außer der Malerei so vermitteln kann.“

Zeitgenössisch und zeitlos – ein Werk für das 21. Jahrhundert

Ob in der Auseinandersetzung mit Exil und Identität, mit dem urbanen Raum oder mit den Unsicherheiten der Moderne – Vieira da Silvas Werk bleibt aktuell. Ihre Malerei ist kein Selbstzweck, sondern ein poetisches Instrument, um über das Leben, über Geschichte und Erinnerung nachzudenken.

„Ein Bild ist niemals fertig“, sagte sie – und lässt uns so ein Werk hinter, das bis heute offen bleibt für neue Deutungen.

Praktische Informationen

Ausstellungsort: Peggy Guggenheim Collection, Dorsoduro 701, 30123 Venedig

Dauer der Ausstellung: 12. April – 15. September 2025

Website & Tickets: www.guggenheim-venice.it

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