Venedig zelebriert 300 Jahre Giacomo Casanova mit differenziertem Blick.
Im Jahr 2025 jährt sich die Geburt von Giacomo Casanova zum 300. Mal. Venedig, die Stadt seiner Jugend und Inspiration, nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, das Bild des berühmten Abenteurers, Literaten und Lebemanns neu zu betrachten. Casanova war weit mehr als nur der Inbegriff des Verführers – er war Jurist, Philosoph, Diplomat und Freigeist, dessen Leben bis heute fasziniert.
Ein Leben zwischen Leidenschaft und Freiheit
„Das Vergnügen war immer meine oberste Maxime; ich habe gelebt, um zu lieben und geliebt zu werden,“ schrieb Giacomo Casanova um 1790 schon altersmüde auf Schloss Dux in Böhmen die „Geschichte meines Lebens“. In seinen berühmten Memoiren „Histoire de ma vie“ gibt er zu, dass sein Streben weniger der Weltverbesserung, sondern vor allem seiner eigenen Lust und Freiheit galt. „Ich habe die Frauen bis zum Wahnsinn geliebt, aber stets zog ich ihnen meine Freiheit vor. Wenn ich mich in Gefahr befand, sie einzubüßen, gelang es mir stets, wenn auch mit knapper Not, mich zu retten.“ Doch gerade sein Leben auf einer Achterbahn zwischen Abenteuer und Amourösen, Verfolgung und Sinnlichkeit, Flucht und Laster macht den getrieben Charmeur und promovierten Juristen, Philosophen und Literaten, Alchimisten und Diplomaten, Freimaurer und Geheimagenten bis heute zu einem Mythos.
Mythos und Wirklichkeit: Casanova als vielschichtige Figur
Was macht Casanova 300 Jahre nach seiner Geburt so faszinierend? Seine unbändige Lebensfreude, sein Talent zur Verführung und seine unermüdliche Suche nach Freiheit. Als europäischer Kosmopolit reiste er quer durch den Kontinent, begegnete Herrschern, Philosophen und Gelehrten und machte sich in verschiedensten Disziplinen einen Namen. Doch sein unermüdlicher Drang nach Eroberung und Selbstverwirklichung bringt ihn immer wieder in brenzlige Situationen.
„Mit dem Namen Casanova wird das völlig falsche Bild eines machohaften, unverbesserlichen Schürzenjägers verbunden und die Bezeichnung Casanova an Männer vergeben, die weit davon entfernt sind, dem zu entsprechen“, erklärt die Schauspielerin Elisabeth-Jo Harriet aus familienberufenem Munde. „Sein Bruder Giovanni Casanova war mein fünffacher Urgroßvater.“ Ihren fünffachen Urgroßonkel Giacomo sagt sie virtuose Charaktervielfalt nach: „Nur wer Bildung, Niveau, Stil, Benehmen, Fantasie und Mut hat, hat eine Chance, auch ein guter Liebhaber im Sinne eines Casanova zu sein, mit dem sich eine Frau mit Freude unterhält.“ Tatsächlich liebte Casanova die Frauen bis zur Obsession, doch seine Freiheit war ihm stets wichtiger als jede Bindung.

Vom Priesterseminar zur berühmtesten Flucht Venedigs
Als Casanova am 2. April 1725 in Venedig zur Welt kommt, ist ihm ein turbulentes Leben wie auf einer Bühne schon in die Wiege gelegt. Als ältestes von fünf Kindern eines Schauspielerehepaares wächst er in der damaligen Calle della Commedia an San Samuele auf. Sein Vater verstarb früh, während seine Mutter, die Schauspielerin Zanetta Farussi, mit einer Theatertruppe quer durch Europa reiste. Giacomo wuchs bei seiner Großmutter auf, die ihm eine erstklassige Ausbildung an der Universität Padua ermöglichte. Dort promovierte er in Rechtswissenschaften und Theologie und entschied sich zunächst für eine kirchliche Laufbahn. Schon früh zeigte sich seine theatralische Ader, die ihn vom Priesterseminar in Padua bis in die höchsten Adelskreise Venedigs führte. In der Kirche San Samuele hielt Casanova seine erste Predigt und zog das Publikum, insbesondere die Damenwelt, in seinen Bann. Der Klingelbeutel füllte sich weniger mit Münzen als mit leidenschaftlichen Liebesbriefen. Seine zweite Predigt hingegen wurde zum Debakel und mit vorgetäuschter Ohnmacht von der Kanzel beendet, weil er die Predigt vergessen hatte.

Lebensentscheidend ist gleich darauf seine Freundschaft mit dem greisen Senator Alvise Gasparo Malipiero, der ihn, im bis heute markanten Palazzo Malipiero am Canal Grande beherbergt und in die Adelskreise Venedigs einführt. Dank dieser Verbindung eröffnete sich Casanova der Zugang zu den höchsten aristokratischen Kreisen. Dort knüpfte er Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten und beeindruckte sie mit seinem scheinbar grenzenlosen Wissen über Alchemie und Astrologie.
Ab da gibt es für Casanova kein Halten mehr, in Geldgeschäften wie in Liebensabenteuern. Nicht einmal vor dem Kloster machen seine Galanterien halt, seine Verführer-Spur zieht sich durch die Familien der Nobili, nicht nur in Venedig. Über 60.000 Kilometer reist er per Kutsche durch Europa von Hof zu Hof – unter anderem nach Wien und Prag sowie Paris, wo er eine Lotterie gründet.
Im Juli 1755 geriet Casanova trotz seiner einflussreichen Verbindungen ins Visier der venezianischen Geheimpolizei. Eine anonyme Anzeige, mutmaßlich verfasst von einem neidischen Rivalen oder einem betrogenen Ehemann, beschuldigte ihn der Gotteslästerung, des Besitzes verbotener Schriften und zahlreicher moralischer Verfehlungen. In Venedig war es üblich, Verdächtigungen in den berüchtigten „Bocche di Leone“ – Briefkästen in Löwenmaul-Form – zu hinterlegen. Casanova wurde in den Dogenpalast gebracht, wo er, trotz vehementer Unschuldsbeteuerungen, in den Kerker geworfen wurde.

Während seiner Inhaftierung in den Bleikammern des Dogenpalastes erkennt Casanova, dass die Deckenbalken des Gefängnisses aus Holz bestehen. Mit einem angespitzten Eisenstück gelingt es ihm, ein Loch in das Holz zu treiben – ein waghalsiger Plan, der ihm schließlich die Flucht in die Freiheit ermöglicht. Seine Flucht aus den berüchtigten Bleikammern des Dogenpalastes 1756 machte ihn endgültig zur Legende. „Nichts war leichter als das,“ notierte er später sarkastisch in seinen Memoiren.
Casanova als Literat und Philosoph
Neben seinen amourösen Abenteuern machte sich Casanova auch als Schriftsteller und Philosoph einen Namen. Seine „Histoire de ma vie“ gilt als eines der bedeutendsten autobiografischen Werke des 18. Jahrhunderts und bietet einen einzigartigen Einblick in das Leben und die Gesellschaft seiner Zeit. Seine Werke umfassen neben erotischen Schilderungen auch tiefgehende Reflexionen über Moral, Politik und menschliche Natur.
Venedig ehrt seinen berühmten Sohn mit Ausstellungen
Zum 300. Geburtstag ehrt Venedig Casanova mit einer Reihe von Veranstaltungen sowie Ausstellungen in den Musei di Venezia. Im Palazzo Ducale wird eine Sonderausstellung zur spektakulären Flucht aus den Bleikammern präsentiert. Mit einer permanente Bespielung des Dogen-Appartements wird im Herbst im Palazzo Ducale mit besonderem Fokus auf die Bleikammern-Flucht Casanovas gedacht. Der Palazzo Mocenigo widmet sich mit „Die Mode zu Zeiten Casanovas“ (ab 7. März) sowie „Das Erbe eines Mythos zwischen Geschichte und Kino“ (ab 29. August) dem kulturellen Kontext seiner Zeit.
Weitere Informationen und Updates finden Sie auf der offiziellen Website MUVE
Ein Jahr voller Veranstaltungen in der Fondazione Giorgio Cini: Casanova, Venedig und Europa
Die Fondazione Giorgio Cini auf der Insel San Giorgio Maggiore feiert diese ikonische venezianische Persönlichkeit mit einem interdisziplinären Veranstaltungsprogramm, das das ganze Jahr über stattfindet. Alle Institute und Forschungszentren der Stiftung werden beteiligt sein, um ein facettenreiches Bild von Casanova zu zeichnen.
Das Programm umfasst:
Ausstellung: 30. Oktober 2025 bis 17. Februar 2026 in der Galleria di Palazzo Cini und auf der Isola di San Giorgio Maggiore.
Internationales Symposium: „Casanova in time 1725 – 2025“ vom 4. bis 7. Juni 2025.
Workshops der Accademia Vivaldi: Drei Veranstaltungen zur Musik der Casanova-Zeit.
Musikseminar und Konzert: 22. bis 26. September 2025, mit Fokus auf Giacomo Casanova und Joseph Boulogne.
Theaterkonferenz: 19. November 2025, mit Einblicken in die Theaterwelt jener Zeit.
Konzert „Casanova al Levante“: 19. November 2025, mit venezianischer und osmanischer Musik.
Konferenz über Libertinismus und Spiritualität: 16. – 18. Dezember 2025, eine Analyse des kulturellen und philosophischen Erbes Casanovas
Weitere Informationen und Updates finden Sie auf der offiziellen Website der Fondazione Giorgio Cini.
Auch der diesjährige Carnevale Culturale steht ganz im Zeichen Casanovas. BesucherInnen können sich in die Welt des 18. Jahrhunderts entführen lassen und dem Geist des ewigen Verführers nachspüren.

„Zwischen Mythos und Realität“ von Alberto Toso Fei
Giacomo Casanova – ein Name, der für Leidenschaft, Abenteuer und eine faszinierende Lebensgeschichte steht. Doch wie fügt sich der berühmte Venezianer heute in das Weltkulturerbe Venedigs ein? Und würde er in der modernen Gesellschaft als Macho geächtet werden? Alberto Toso Fei, renommierter Autor und Experte für die Geschichte Venedigs, gibt spannende Einblicke in die heutige Relevanz des legendären Casanova. Seine Wurzeln in Venedig gehen zurück ins Jahr 1351 als Nachfahre einer alten Glasmacherfamilie Muranos. Niemand ist berufener als er, Giacomo Casanova in die Gegenwart einzuordnen.
Wie fügt sich Casanova heute in das Weltkulturerbe Venedigs ein?
„Wie Marco Polo, wenn auch in völlig unterschiedlichen Epochen, verkörperte Giacomo Casanova perfekt das Jahrhundert, in dem er lebte, in der Schwebe zwischen Wissenschaft und altem Glauben, zwischen wachsender Freiheit des Denkens und vielleicht tief verwurzeltem Aberglauben. Casanova war zweifelsohne Venezianer, aber auch Europäer, und in diesem Sinne ist sein weites, auch politisch fundiertes Weltbild jener Zeit weit voraus und Teil jener Aufgeschlossenheit gegenüber Veränderungen, die vielleicht noch heute gefeiert werden, kann.“
Wäre Casanova heute ein Macho oder gar geächtet?
Dieses Thema wird kontrovers diskutiert: Während einige Casanova als einen frühen Verfechter der Frauenrechte betrachten, sehen andere in ihm einen Inbegriff männlichen Chauvinismus oder gar einen skrupellosen Verführer. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Er lebte in einer Zeit, in der es üblich war, dass Frauen bereits mit zwölf oder dreizehn Jahren verheiratet waren, und er betrachtete die Beziehung zwischen den Geschlechtern als komplementär. Dennoch pflegte er auch enge, aufrichtige Beziehungen zu verschiedenen Frauen, mit denen er über Jahre hinweg in Kontakt blieb. Wäre er ihnen gegenüber respektlos oder rücksichtslos gewesen, wären diese langjährigen Verbindungen jenseits körperlicher Anziehung wohl kaum entstanden.
Wie lebt Casanova heute in Venedig weiter?
„Casanova war sicherlich schamlos und sich bewusst, dass er aus einer langen zivilisatorischen Tradition stammte – wie viele Venezianer auch heute noch. Er erlebte Venedig intensiv und war in Harmonie mit seinen Gebäuden und Steinen. Deshalb können wir seinen Geist hier und dort spüren, wo sein Weg Spuren hinterlassen hat.“
„Il Casanova di Federico Fellini“
Das heutige Casanova-Bild hat vor allem Federico Fellini mit seinem ikonischen Film „Il Casanova di Federico Fellini“ (1976) geprägt, der mit einer Szene im Carnevale beginnt und in unerfülltem Glück mit Casanovas angeblich größter Liebe Henriette gipfelt. Für Kostüme und Ausstattung erhielt Danilo Donato einen Oscar, seine Skizzen lassen Casanova durch das mystisch nächtliche Venedig huschen. Wer nachts durch die stille Lagunenstadt schlendert, kann den Liebesjäger in den dunklen calli und canali noch erahnen.
Auf den Punkt gebracht: Ein Leben für die Ewigkeit
300 Jahre nach seiner Geburt bleibt Giacomo Casanova eine schillernde Figur, deren Leben zwischen Eros und Erkenntnis oszilliert. Ob als Verführer, Intellektueller oder Abenteurer – sein Mythos lebt weiter. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: „Mein Werk ist voll moralischer Lehren. Doch was nützt das, wenn die gelungenen Schilderungen meiner Sünden die Leser mehr zur Nachahmung als zur Reue anregen?“
Giacomo Casanova bleibt eine faszinierende Figur, deren Leben weit über das Klischee des Frauenhelden hinausgeht. Sein Intellekt, seine Neugier und seine Fähigkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, machen ihn zu einem Symbol für die kulturelle Offenheit Venedigs. Auch heute noch inspiriert er Besucher aus aller Welt, die seine Spuren in der Stadt der Liebe und Masken entdecken möchten.